Dr. Gerd Kommer ist Gründer und Geschäftsführer der Gerd Kommer Invest GmbH. Zuvor war er rund 24 Jahre im Kreditgeschäft und Asset-Management bei verschiedenen Banken tätig. Bis Ende 2016 leitete der studierte Betriebswirt die Niederlassung London eines deutschen Asset-Management-Unternehmens. Gerd Kommer hat mehrere Finanzratgeberbücher veröffentlicht.
Hallo Gerd, viele Anleger*innen haben nur ein Wertpapier in ihrem Depot: einen MSCI World ETF. Welche Fragen sollten sie sich stellen, wenn sie ihr Portfolio ausbauen möchten?
Zunächst sollten diese Anleger mit ihrem MSCI World ETF schon einige Erfahrungen an der Börse gesammelt haben. Dazu gehört auch das persönliche Erleben schlechter Börsenphasen, um verlässlich einschätzen zu können, wo die eigene Risikoschmerzgrenze liegt.
Vielen Anleger*innen fällt es schwer, ihr persönliches Risikobewusstsein zu definieren. Welche Tipps kannst du geben?
Dafür gibt es eine gute Risikokennzahl, die etwas kompliziert klingt, aber leicht zu verstehen ist: Der maximale kumulative Verlust oder neudeutsch der „Maximum Drawdown“. Dabei handelt es sich um den maximalen Kursverlust, den ein Portfolio erleiden kann und den ein Anleger mit diesem Portfolio aushalten können muss. Die Vergangenheit hat in den letzten über 50 Jahren gezeigt, dass dieser maximale kumulative Kursverlust bei einem breit gestreuten globalen Aktieninvestment rund 50 Prozent beträgt.
Anleger müssen akzeptieren können, dass der Aktienteil ihres Wertpapiervermögens im Extremfall um bis zu 50 Prozent an Wert verliert.
Dr. Gerd Kommer, ETF-Experte
Kannst du das an einem konkreten Beispiel erklären?
Wenn mein Gesamtvermögen beispielsweise aus einem global gestreuten Aktiendepot von 10.000 Euro und einem Tagesgeldkonto von 20.000 Euro besteht, dann hätte ich nach dem vorigen Szenario am schlimmsten Punkt einen Kursverlust von 5.000 Euro in meinem Aktieninvestment. Mein Gesamtvermögen wäre dann 25.000 Euro und ich hätte einen Buchverlust von knapp 17 Prozent. Wenn ich das gerade noch verkraften kann, ohne schlimme Alpträume und Panik zu haben, liege ich genau an meiner Risikoschmerzgrenze.
Was hieße das für Anleger*innen mit einem MSCI World ETF?
Anlegern mit einem MSCI World ETF, so meine Annahme, sind zunächst einmal keine „Stock Picker“. Ihnen ist Einfachheit und risikosenkende Diversifikation wichtig. Solche Anleger wollen sozusagen in die „Welt-AG“, die gesamte Weltwirtschaft, investieren.
Ein Weltportfolio sollte auch Schwellenländeraktien und Small Caps beinhalten, weil beide Anlageklassen im MSCI World Index fehlen.
Dr. Gerd Kommer, ETF-Experte
Mit welchen Produkten könnten Anleger*innen das im Portfolio abbilden?
Sowohl Schwellenländer als auch Nebenwerte können mit zusätzlichen ETFs ins Depot geholt werden, beispielsweise einem ETF auf den MSCI Emerging Markets Index und einem ETF auf den MSCI World Small Cap Index. Als Faustregel für Börsennovizen sollten beide Anlageklassen jeweils rund zehn Prozent des Aktienteils eines Weltportfolios ausmachen. Wenn ein Anleger nicht ausreichend Geld für solche Anlagen in Form von Einmalinvestitionen hat, könnte er sein Ziel alternativ schrittweise über einen kostengünstigen Sparplan näherkommen, um sich im Laufe von wenigen Jahren eine zweite und dritte Position im Portfolio aufzubauen. Damit würden Risiken des MSCI World ETFs durch eine noch breitere Streuung des Gesamtportfolios gemindert und vielleicht die Langfristrendite noch etwas erhöht.
Du hast trotz eines breiten Angebots an Welt-ETFs gerade einen eigenen aufgelegt. Warum beziehungsweise welche Lücke soll dieser schließen?
Wir wollten keinen weiteren MSCI World ETF-Klon auflegen, denn davon gibt es schon genug. Wir wollten stattdessen ein ETF-Produkt entwickeln, das zwar dem Grundgedanken des MSCI World Index entspricht, nämlich die gesamte Weltwirtschaft, die Welt-AG, abzubilden, aber einige Defizite, die der MSCI World Index aus meiner Sicht hat, beseitigt – und das in einem einzigen ETF.
In einem MSCI World ETF machen US-Aktien aktuell circa 67 Prozent aus. Dieses hohe Gewicht für Aktien aus einem einzelnen Land ist risikomäßig ungesund.
Dr. Gerd Kommer, ETF-Experte
Welche Rolle spielt der Multifaktor-Ansatz bei deinem ETF?
Beim so genannten „Factor Investing“ werden bestimmte, statistisch einfach zu identifizierende Kategorien von Aktien höher gewichtet als beim normalen passiven Investieren. Diese Kategorien nennen sich im Fachjargon „Faktoren“ oder „Faktorprämien“. Die Motivation hinter Factor Investing besteht darin, auf lange Sicht eine begrenzte Mehrrendite gegenüber dem allgemeinen Aktienmarkt zu erzielen. Factor Investing ist ein Ansatz, der aus der Wissenschaft kommt. Die zwei bekanntesten Faktorprämien sind die Small-Size-Prämie und die Value-Prämie. Erstere ist die statistische Mehrrendite, die Aktien mit niedriger Marktkapitalisierung, also Small Caps, gegenüber Large Caps haben, zweitere ist die statistische Mehrrendite, die günstig bewertete Aktien, also Value-Aktien, gegenüber hoch bewerteten Aktien haben. Neben der Small-Size-Prämie und der Value-Prämie haben wir noch die so genannte Quality-Prämie, die Momentum-Prämie und die Low-Investment-Prämie in unserem ETF berücksichtigt.
Und wie hält es der ETF mit der Nachhaltigkeit?
Wir nutzen einen moderaten Nachhaltigkeitsfilter für unseren ETF. Das heißt konkret, dass die Aktien im ETF erstmal in elf „Super-Branchen“ unterteilt sind. In jeder dieser Branchen werden die drei Prozent stärksten CO2-Emittenten herausgefiltert. Das nennt sich Best-in-Class-Ansatz. Zudem werden Unternehmen, die Kohle abbauen oder Kohlekraftwerke betreiben generell aussortiert. Wir wollen mit dem ETF einen kleinen Beitrag zur Nachhaltigkeit auf der Welt leisten. Sehr stark nachhaltig orientierte Investoren werden unseren Fonds aber als nicht ausreichend empfinden und da gibt es in der Tat viele Aktien-ETFs, die in dieser Hinsicht viel radikaler sind als unserer.
Wie bewertest du nachhaltige Wertpapierprodukte generell? Ist das nur etwas fürs Gewissen oder auch für die Rendite?
Rendite und Gewissen müssen kein Widerspruch sein. Allerdings ist die gelegentlich gehörte Behauptung, dass nachhaltige Anlageprodukte die Rendite erhöhen oder das Risiko reduzieren bedenklich. Das Risiko lässt sich durch nachhaltiges Anlegen vielleicht etwas verringern, bei der Rendite dürfte es langfristig durch einen Nachhaltigkeitsfokus kein Plus geben. Das ist die dominierende Meinung in der Wissenschaft.
Die vielen Möglichkeiten der Wertpapieranlage verunsichern gerade neue Anleger*innen. Welche Fehler sollten diese vermeiden?
Der größte Fehler, den Anleger vermeiden sollten, ist das, was ich als „Rückspiegelinvestieren“ bezeichne, also Renditen in der jüngeren Vergangenheit hinterher zu investieren. Anschaulicher formuliert: Primär das kaufen, was in den letzten zwölf Monaten oder fünf Jahren gut lief und/oder das nicht zu kaufen oder zu verkaufen, was in den letzten zwölf Monaten oder fünf Jahren besonders schlecht lief.
Der größte Fehler, den Anleger vermeiden sollten, ist das 'Rückspiegelinvestieren', also Renditen in der jüngeren Vergangenheit hinterher zu investieren.
Dr. Gerd Kommer, ETF-Experte
Für viele Menschen ist Geld ein emotionales Thema. Wie sollten Anleger*innen mit Emotionen umgehen?
Wir alle sollten versuchen soweit es irgendwie geht, Emotionen vollständig aus der Geldanlage herauszuhalten. Es gilt die Regel: Je mehr Emotionen beim Investieren, desto schlechter sind die langfristigen Ergebnisse. Daran hat die Wissenschaft keinen Zweifel. Emotionen haben natürlich ihren Platz in vielen anderen Sphären des Lebens, aber halt nicht bei der Vermögensanlage. Meine Empfehlung: Sei bei Geld wie Mister Spock aus Star Trek! Mr. Spock agiert rein logisch, frei von Gefühlen. Wir alle sollten beim Investieren kleine Spocks sein. Anfangs mag das schwer fallen. Aber persönliche Erfahrungen helfen enorm. Sie lehren, Emotionen bei finanziellen Entscheidungen zu beherrschen und machen allgemein resilienter bei negativen Marktphasen. Daneben ist das Erwerben von Finanzwissen natürlich auch sehr wichtig. Es hilft, Chancen und Risiken der Geldanlage korrekter einzuschätzen. Erfahrungen und Wissen sammeln Anleger am besten, wenn sie am Börsengeschehen mit eigenem Geld selbst teilnehmen. Und je länger man das tut, desto stärker wird man vom berühmten Zinseszinseffekt profitieren.