Absichern & Vorsorgen
Zurück zur Übersicht
Portratifoto von Bayern-LB-Chefvolkswirt Dr. Jürgen Michels.
„2024 wird ein Jahr der Unsicherheiten“

Wie entwickelt sich die Inflation und worauf sollten Anleger*innen jetzt achten? Im Interview spricht BayernLB-Chefvolkswirt Dr. Jürgen Michels über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung. Dabei erklärt er, warum diese nicht gerade rosig sein wird.

Oktober 2023

Dr. Jürgen Michels ist Chefvolkswirt und Leiter Research der BayernLB in München. Zuvor arbeitete er unter anderem als Euro-Raum-Chefvolkswirt bei der Citigroup in London. Er studierte Volkswirtschaft an der Universität Bonn und promovierte mit einer Arbeit zu Zentralbankstrategien an der Universität Frankfurt.

Hallo Jürgen, die Inflationsrate ist seit 2021 auf Rekordniveau. Nun sinkt sie aber teils rasant. Sind das gute oder schlechte Nachrichten?

Zunächst einmal ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, was Inflation eigentlich ist. Nämlich ein statistisches Maß, bei dem ich das jetzige Preisniveau mit dem von vor 12 Monaten vergleiche. Über den Sommer ist die Inflationsrate immer stärker gesunken.

Die Inflationsrate

ist über den Sommer immer stärker gesunken. Das hat viel mit dem Basiseffekt zu tun.

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt der BayernLB

Das hat aber viel mit dem sogenannten Basiseffekt zu tun. Im letzten Jahr sind die Preise stark gestiegen und haben die Inflationsrate nach oben katapultiert. Jetzt haben wir die Situation, dass diese Extremwerte aus der zwölfmonatigen Betrachtung nach und nach herausfallen. Das bedeutet nicht, dass jetzt die Preise sinken. Vielmehr heißt das, dass wir zeitlich immer weiter von dem Preissprung des letzten Jahres wegkommen und die Inflationsrate auf Basis eines höheren Grundwerts messen. Dementsprechend fällt sie heute im Vergleich zum Vorjahr geringer aus als das noch im Frühjahr der Fall war.

Verbraucher*innen empfinden, dass die Preise bei Lebensmitteln, Benzin und Energie immer noch steigen. Liegen sie richtig?

Die Daten zeigen, dass gerade bei Nahrungsmitteln die Inflation noch immer deutlich höher ist. Im September betrug die Inflationsrate in Deutschland 4,5 Prozent, bei Nahrungsmitteln lag sie bei 7,5 Prozent. Aber auch hier liegt der Höhepunkt von 22,3 Prozent im März deutlich hinter uns und die Lage dürfte sich weiter entspannen. Darauf deutet zum Beispiel auch die Entwicklung der Weltmarktpreise für Rohstoffe wie Gas und Getreide hin.

Die Weltmarktpreise

von Rohstoffen haben sich nicht nur stabilisiert, sondern sind teilweise niedriger als im Vorjahr.

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt der BayernLB

Nach den Preissteigerungen im letzten Jahr haben sich diese nicht nur stabilisiert, sondern sind teilweise niedriger als im Vorjahr. Das zeigt sich auch beim Einkauf im Supermarkt, zum Beispiel bei Nudeln, Käse und Butter. Teilweise wurden die Preisanstiege aus dem Vorjahr hier korrigiert. Allerdings sehen wir, dass der Ölpreis seit Mitte August deutlich nach oben gegangen ist. Das hatte zunächst mit Förderkürzungen der OPEC und insbesondere Saudi-Arabien zu tun. Nach dem Angriff der Hamas auf Israel hat sich die Lage am Ölmarkt nochmal zusätzlich verschärft. An der Stelle entsteht also wieder ein zusätzlicher Preisdruck. Wir müssen jetzt sehen, ob dieser Effekt kurzfristig ist oder sich langfristig auf die Inflation auswirkt.

Wie reagieren Unternehmen auf die Inflation und was sollten Verbraucher*innen jetzt beachten?

Durch den Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise sind auch die Preise für Industriegüter deutlich gestiegen. Das sind Güter, die Unternehmen zur Produktion brauchen. Diese Preissteigerungen haben produzierende Unternehmen soweit möglich an die Endverbraucher*innen weitergegeben.

Preissenkungen

im Dienstleistungsbereich werden wir wohl nicht sehen.

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt der BayernLB

Auch die Dienstleistungsbranche ist dem gefolgt. Jetzt sehen wir, dass Industriegüter nicht mehr teurer werden und in einigen Bereichen sogar wieder fallen. Folglich steigen die Preise im Einzelhandel und bei Dienstleistungen nicht mehr oder nur in viel geringerem Maße. Die angesprochenen Preissenkungen bei Lebensmitteln werden wir im Dienstleistungsbereich aber wohl nicht sehen. Hier verharren die Preise auf dem hohen Niveau, da die steigenden Lohnkosten eine größere Rolle spielen.

In den Medien kursiert der Begriff “Shrinkflation”. Was verbirgt sich dahinter?

Viele Unternehmen haben im letzten Jahr ihre Margen erhöht, weil die Nachfrage während der Pandemie so stark war. Hier griff der Mechanismus von Angebot und Nachfrage. Manche Einzelhändler versuchen ihre Margen jetzt zu stabilisieren, indem sie die Packungsgrößen verkleinern. Dafür steht der Begriff “Shrinkflation”, wobei es sich dabei nicht um einen wissenschaftlichen Begriff handelt. In der offiziellen Statistik werden solche Anpassungen als preissteigernd festgehalten.

Welche Branchen sind derzeit Inflationstreiber?

Rückblickend waren es natürlich der Energie- und Nahrungsmittelbereich, in denen wir starke Preiserhöhungen hatten. Nach vorn schauend erwarten wir im nächsten Jahr Gebührenerhöhungen im öffentlichen Dienst oder beim Personennahverkehr.

Nach den Lohnabschlüssen

im öffentlichen Dienst wird man versuchen, einen Teil dieser Kosten zurückzuholen.

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt der BayernLB

Das sind Bereiche, die in der Kostenstruktur sehr stark von den Lohnkosten abhängen. Nach den relativ hohen Lohnabschlüssen im öffentlichen Dienst wird man versuchen, einen Teil dieser Kosten zurückzuholen – zum Beispiel mit Preiserhöhungen bei öffentlichen Dienstleistungen. Solche Veränderungen erfolgen oftmals rund um den Jahreswechsel. Die Preisentwicklung im Jahr 2024 wird nicht gütergetrieben sein, sondern durch Dienstleistungen erfolgen, die eine hohe Lohnkomponente enthalten.

Kannst du schon Veränderungen im Konsumverhalten beobachten?

Die Preissteigerungen waren im letzten Jahr auch deshalb möglich, weil wir eine hohe Nachfrage nach bestimmten Gütern hatten. Nehmen wir zum Beispiel Urlaubsreisen. In der Pandemiezeit sind viele Menschen nicht in den Urlaub gefahren. Das wollte man jetzt nachholen, wodurch die Nachfrage anstieg. Andererseits hatten die Menschen das Geld für ihren Urlaub in den letzten zwei Jahren angespart und waren in der Lage, hohe Preise fürs Reisen zu zahlen. Dadurch konnten die Reiseanbieter die teilweise großen Preisanstiege durchsetzen. Aber nach dieser Sommerurlaubssaison dürfte der Wettbewerb bei Anbietern wieder größer werden, weil aufgrund der lahmenden Wirtschaft die Einkommenssituation bei vielen Haushalten angespannter sein wird. Daher bleibt abzuwarten, ob die Preise für Urlaubsreisen aber auch andere Dienstleistungen so hoch bleiben werden.

Nachdem wir auf Verbraucher*innen geblickt haben, lass uns auf Anleger*innen schauen. Welche Form der Geldanlage empfiehlt sich in der aktuellen Situation?

Die Europäische Zentralbank (EZB) und andere Zentralbanken haben auf die hohe Inflation reagiert und die Zinsen massiv angehoben. Der Einlagezinssatz ist jetzt wieder bei 4 Prozent angekommen. Wir sehen auch entsprechende Entwicklungen auf den Rentenmärkten, wo die Renditen deutlich angestiegen sind. Eine Geldanlage mit sicheren Zinsen aufs Tagesgeld oder mit festverzinslichen Wertpapieren lohnt sich wieder. Das ist eine positive Entwicklung für Anleger*innen. Zwar bleibt aufgrund der hohen Inflation von den Renditen real wenig hängen, aber da die Inflationsrate sukzessive sinkt, werden bald auch wieder positive Realrenditen zu Buche stehen.

Feste Zinsen für dein Depot

Anleihen können dein Portfolio ergänzen und Aktienanlagen absichern. Jetzt Anleihe finden!

Wie sieht es mit Aktien und anderen Wertpapieren aus?

Für Unternehmen ist das Umfeld durch die höheren Kosten derzeit schwierig. Das ist die Kehrseite der Medaille und keine gute Nachricht für den Aktienmarkt. Darum müssen wir damit rechnen, dass einige Unternehmen Schwierigkeiten bekommen werden.

Einige Unternehmen

werden Schwierigkeiten bekommen, darunter die Immobilienbranche, das Bau- und Verarbeitende Gewerbe. 

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt der BayernLB

Das betrifft die Immobilienbranche, das Baugewerbe und im globalen Maßstab auch das Verarbeitende Gewerbe. Hier wird es auch Insolvenzen geben, was sich negativ auf den Aktienmarkt auswirken wird. Aber auf mittlere Sicht werden sich auch wieder Möglichkeiten ergeben. Gerade Titel aus der Finanzbranche laufen in letzter Zeit gut. Außerdem gibt es längerfristige Muster auf den Aktienmärkten. Zum Beispiel den Wahlzyklus in den USA. Im Halbjahr vor dem Wahljahr der USA, in dem wir uns gerade befinden, gibt es erhöhte Unsicherheiten und die Aktienkurse entwickeln sich traditionell schlecht und die Märkte sind schwach. Aktuell sehen wir daher die Aktienmärkte eher in einer Seitwärtsbewegung. Mit Blick auf die Entwicklung im Nahen Osten kann es phasenweise auch zu erhöhter Risikoaversion kommen, sodass es nochmal weiter nach unten geht, verbunden mit sehr volatilen Ausschlägen.

Wie schätzt du die Entwicklung der amerikanischen und europäischen Märkte ein?

Die US-Märkte sind ein ausschlaggebender Faktor für die Entwicklung der globalen Märkte. Wahrscheinlich können sich die US-Märkte mittelfristig stabilisieren und als stark erweisen. Das hängt aber davon ab, wie sich die Inflation entwickelt und ob die Geldpolitik vielleicht noch weiter auf die Bremse treten muss, was die Konjunktur in den USA dämpfen würde. Insgesamt denke ich, dass vor allem Europa Aufholpotenzial hat. Denn hier beobachten wir schon seit längerem eine geringere Performance im Vergleich zu den USA, wodurch sich günstigere Bewertungskennzahlen ergeben haben.

BayernLB-Chefvolkswirt Dr. Jürgen Michels präsentiert sein Videoblogformat "Espresso".
Ein Espresso mit Dr. Jürgen Michels

Der BayernLB-Chefvolkswirt erklärt in seinem Videoformat auf bayernlb.de, was die Finanzmärkte aktuell bewegt. Jetzt ansehen!

Erwartest du eine weitere Anhebung des Leitzinses durch die EZB?

Oft ist es so, dass die EZB den Leitzins anhebt und dann schnell wieder absenkt. Aufgrund der aktuellen Unsicherheiten hinsichtlich der Inflation und der noch ausstehenden Antwort auf die Frage, ob es eine Lohn-Preis-Spirale gibt, wird die EZB mit einer weiteren Erhöhung abwarten.

Wir werden

keinen Zinsgipfel, sondern eher ein Zinsplateau sehen.

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt der BayernLB

Wir werden also keinen Zinsgipfel, sondern eher ein Zinsplateau sehen. Ich schätze bis Ende nächsten Jahres wird es dauern, bis die EZB die Zinsen senkt. Anleger*innen müssen nun überlegen, ab wann sie vom gegebenenfalls befristeten Tagesgeldzins zu lukrativeren Termineinlagen oder Anleihen wechseln, um sich höhere Renditen längerfristig zu sichern.

Was lässt sich für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung ableiten? Hast du eine Prognose für uns?

Generell wird 2024 ein Jahr der Unsicherheiten. Für Deutschland erwarten wir im Jahr 2024 eine schwache wirtschaftliche Entwicklung und nur 0,5 Prozent Wachstum. Bei der Inflationsrate werden wir weitere Rückgänge sehen. Aber aufgrund der nachlassenden Basiseffekte wird das langsamer gehen.

Die Inflationsrate

wird weiter zurückgehen. Aber aufgrund der nachlassenden Basiseffekte langsamer.

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt der BayernLB

Mit der Einschränkung: Wenn der Ölpreis hoch bleibt oder weiter ansteigt, nimmt die Gefahr zu, dass auch die Inflation im nächsten Jahr hoch bleibt. Wir gehen nicht davon aus, dass wir bei der Inflation 2024 die Zielmarke der EZB von 2 Prozent erreichen werden, was die späte Zinssenkung der EZB begründet. Wir müssen auch davon ausgehen, dass die Arbeitslosenquote etwas ansteigt. Aber aufgrund des demografischen Wandels wird es nicht zu Massenarbeitslosigkeit kommen. Es wird sicherlich in einigen Branchen Leute geben, die ihre Stelle verlieren, aber sie werden auch schnell wieder eine neue Anstellung finden. Denn trotz der wirtschaftlichen Schwäche denken Unternehmen langfristig und wollen sich Fachkräfte sichern.

Dr. Jürgen Michels ist Chefvolkswirt und Leiter Research der BayernLB.

Jetzt noch mehr Börsenwissen erhalten

Mit unserem Newsletter erhältst du monatlich ausgewählte Anlagemöglichkeiten zu aktuellen Börsentrends.

Marketingmitteilung

Bei den hier dargestellten Informationen und Wertungen handelt es sich um eine Marketingmitteilung, die nicht im Einklang mit Rechtsvorschriften zur Förderung der Unabhängigkeit von Finanzanalysen erstellt wurde und auch keinem Verbot des Handels im Anschluss an die Verbreitung von Finanzanalysen unterliegt.

Der Erwerb dieser Vermögensanlage ist mit erheblichen Risiken verbunden und kann zum vollständigen Verlust des eingesetzten Vermögens führen.

Die DKB AG erhält von der Anlagegesellschaft und/oder dem Handelspartner der hier beworbenen Produkte eine Vertriebsprovision, die sich aus einer Beteiligung (bis zu 100 %) am Ausgabeaufschlag, einer Platzierungsprovision, ggf. einer Zahlung von Transaktionskosten und ggf. einer bestandsabhängigen Vergütung (bis zu 100 % der Verwaltungskosten) zusammensetzt. Über die genaue Höhe der Zuwendung durch den jeweiligen Emittenten erhalten Sie Auskunft im Rahmen des Orderprozesses.

Risikohinweis

Alle Angaben dienen nur der Unterstützung Ihrer selbstständigen Anlageentscheidung und stellen keine Empfehlung der DKB AG dar. Die dargestellten Produktinformationen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit. Maßgeblich sind allein der Verkaufsprospekt sowie die wesentlichen Anlegerinformationen gemäß den gesetzlichen Verkaufsunterlagen, die Sie auf der Website der Anlagegesellschaft (z. B. Emittentin, Kapitalverwaltungsgesellschaft, Beteiligungsgesellschaft) sowie unserer Website einsehen und ausdrucken können oder in Schriftform bei der Anlagegesellschaft oder kostenlos auch von Ihrer DKB AG erhalten. Bitte lesen Sie den Verkaufsprospekt sorgfältig, bevor Sie eine Anlageentscheidung treffen. Für alle Wertpapiere gilt: Wertentwicklungen in der Vergangenheit sind keine Garantie für eine entsprechende Wertentwicklung in der Zukunft.