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Portratifoto von Bayern-LB-Chefvolkswirt Dr. Jürgen Michels.
„Verlieren werden ganz klar die Sparenden“

Es ist viel Geld im Wirtschaftskreislauf, die Inflationsrate erreicht Höchststände. BayernLB-Chefvolkswirt Dr. Jürgen Michels erklärt im Interview, wie man seine Geldanlage gegen die steigende Inflation absichern kann.

Juni 2021

Dr. Jürgen Michels ist Chefvolkswirt und Leiter Research der BayernLB in München. Zuvor arbeitete er unter anderem als Euro-Raum-Chefvolkswirt bei der Citigroup in London. Er studierte Volkswirtschaft an der Universität Bonn und promovierte mit einer Arbeit zu Zentralbankstrategien an der Universität Frankfurt.

Hallo Jürgen, seit Anfang des Jahres steigt die Inflationsrate in Deutschland. Kannst du uns erklären, wie es dazu kommt und was das Besondere an der aktuellen Situation ist?

Dr. Jürgen Michels: Letztes Jahr haben wir massive Preiseinbrüche bei vielen Gütern und Dienstleistungen verzeichnet, zum Beispiel ist der Ölpreis in 2020 stark gesunken. Zusätzlich gab es eine Senkung der Mehrwertsteuer, sodass im zweiten Halbjahr 2020 ein Rückgang der Preise zu verzeichnen war. Seit Beginn 2021 hat sich die Lage aber geändert. Die Mehrwertsteuer wurde wieder auf das alte Niveau angehoben. Zudem gab es einen Sprung bei den Energiepreisen, verursacht durch den Anstieg des Ölpreises, aber auch die erhöhte CO2-Abgabe. Aufgrund der Corona-Pandemie sind die internationalen Transportkosten enorm gestiegen.

Die Corona-Hilfen in Deutschland haben auf breiter Ebene dazu beigetragen, die Einkommen während des Konjunktureinbruchs zu stabilisieren.

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt und Leiter Research der BayernLB

Auch über Produktionsengpässe und steigende Preise bei Holz, die teilweise auf die Waldbrände in den USA zurückzuführen sind, wurde viel berichtet. Hinzu kommt eine steigende Nachfrage bei den Bürger*innen. Die Corona-Hilfen in Deutschland, wie zum Beispiel das Kurzarbeitergeld, haben auf breiter Ebene dazu beigetragen, die Einkommen während des Konjunktureinbruchs zu stabilisieren. Zudem konnten die Haushalte eine ganze Reihe von Ausgaben, zum Beispiel für Reisen, nicht tätigen. Die dadurch stark gestiegenen Ersparnisse können nun für zusätzlichen Konsum genutzt werden. Diese Nachfrage trifft jedoch in einigen Bereichen auf ein durch die Pandemie eingeschränktes Angebot. Im Ergebnis springen die Preise für viele Warengruppen nach oben, sodass im Durchschnitt die Verbraucherpreise steigen und die Inflationsrate nach oben geht.

Was ist der Unterschied zu einer „gefühlten“ Inflation, die viele Menschen kontinuierlich spüren?

Dr. Jürgen Michels: Die Inflation wird vom Statistischen Bundesamt durch die Preisveränderungen der Güter eines definierten Warenkorbs gemessen, der sich an den Ausgaben eines durchschnittlichen Haushalts orientiert. Mit der gefühlten Inflation ist es ähnlich wie mit der gefühlten Temperatur im Wetterbericht: Neben der Sonne spielen eben auch weitere Faktoren wie der Wind eine Rolle. Haushalte kaufen zum Beispiel auch mal eine Waschmaschine oder ein Auto, sodass diese Produkte ebenso in dem Warenkorb enthalten sind, wie Güter des täglichen Bedarfs. Preise für Autos und Waschmaschinen sind aber relativ konstant und stabilisieren so die Preisentwicklung des Warenkorbs. Zudem verfolgt man diese Preise eher selten. Preissteigerungen bei Waren, die der Haushalt häufiger kauft, werden hingegen viel stärker wahrgenommen. Die gefühlte Inflation ist also eine verzerrte Wahrnehmung der tatsächlichen Inflation.

Die Europäische Zentralbank peilt eine jährliche Inflationsrate von 2 Prozent als Ziel an. Was ist überhaupt problematisch an einer steigenden Inflation?

Dr. Jürgen Michels: Sowohl zu niedrige als auch zu hohe Inflation sind nicht gut. Eine sehr niedrige Inflation ist durch die Zentralbank schwer zu steuern, sodass negative Zinsen entstehen können. Eine deflationäre Situation führt aber dazu, dass Konsument*innen warten, um bestimmte Ausgaben zu tätigen, was den Konsum stark bremst.

Eine zu hohe Inflation hingegen bedeutet den Verlust von Kaufkraft, das heißt man kann sich weniger leisten.

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt und Leiter Research der BayernLB

Eine zu hohe Inflation hingegen bedeutet den Verlust von Kaufkraft, das heißt man kann sich weniger leisten. Was also ist die Balance? Um das Ziel der Preisstabilität zu erreichen und gleichzeitig negative Zinsen zu vermeiden, haben die meisten Notenbanken einen Puffer eingebaut. Sie definieren daher Preisstabilität nicht als eine Inflationsrate von null, sondern streben eine jährliche Veränderungsrate von circa 2 Prozent an. In Deutschland macht man sich aus den Erfahrungen mit der Hyperinflation in den 1920er-Jahren dabei deutlich mehr Sorgen um die Inflation als in anderen Ländern.

Wer profitiert von einer steigenden Inflation?

Dr. Jürgen Michels: Zunächst einmal alle, die sich verschuldet haben und bei denen die Zinsen in ihren Verträgen fixiert sind.

Inflation ist eher schlecht für Menschen, die eine höhere Konsumquote haben.

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt und Leiter Research der BayernLB

Auch der Staat gewinnt, da die Mehrwertsteuer auf den nominalen Preis erhoben wird und der Staat damit bei steigenden Preisen seine Einnahmen erhöhen kann. Unternehmen, deren Löhne mittelfristig fixiert sind, können bei steigenden Preisen ihre Margen erhöhen, vor allem dann, wenn sie die Preise gut weitergeben können. Verlieren werden ganz klar die Sparenden. Inflation ist eher schlecht für Menschen, die eine höhere Konsumquote haben. Damit wirkt die Inflation innerhalb der Bevölkerung unterschiedlich und trifft eher die Haushalte mit niedrigeren Einkommen.

Wie kann man seine Geldanlage vor der Inflation schützen?

Dr. Jürgen Michels: Hier wird es spannend, weil die Frage ist, welche Art von Inflation man hat. In der aktuellen Situation gehen alle Zentralbanken davon aus, dass wir nur einen temporären Anstieg der Inflation verzeichnen. Daher bleiben die Notenbanken bei ihrer expansiven Politik mit niedrigen Zinsen.

Niedrige Zinsen sind ein positives Umfeld für Aktien. Unternehmen können dann zusätzliche Umsätze und Erträge realisieren, in der Folge steigen die Kurse.

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt und Leiter Research der BayernLB

Niedrige Zinsen sind ein positives Umfeld für Aktien. Unternehmen können dann zusätzliche Umsätze und Erträge realisieren, in der Folge steigen die Kurse. Dies gilt vor allem für Unternehmen, die die gestiegenen Preise relativ einfach an nachfolgende Unternehmen in der Produktionskette oder Endkund*innen weitergeben können. Zudem sind Aktien bei niedrigen Zinsen auch lukrativer als Sparprodukte. Generell werden eine steigende Inflation und höhere Inflationserwartungen dazu führen, dass die Renditen für Staatsanleihen steigen, was bedeutet, dass die Kurse bestehender Anleihen fallen. Man sollte also nicht auf festverzinsliche Wertpapiere mit langen Laufzeiten setzen.

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Welche Branchen sind gegen steigende Inflation gut gewappnet?

Dr. Jürgen Michels: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Hier kann man mit einem Blick in die Geschichte als auch aus ökonomischer Sicht zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Am besten stehen sicher solche Branchen wie Maschinenbau und Technologie da, die steigende Preise gut überwälzen können. Und auch das Bankwesen profitiert aufgrund einer steileren Zinskurve. Aktienwerte, die in Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung investieren, werden sich in den kommenden Jahren gut entwickeln. Wenn die Gewinne dieser Unternehmen steigen, kann man mit steigenden Kursen rechnen, auch wenn die Bewertungskennziffern vielleicht nach unten gehen.

Aktienwerte, die in Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung investieren, werden sich in den kommenden Jahren gut entwickeln.

Dr. Jürgen Michels, Chefvolkswirt und Leiter Research BayernLB

Abgesehen von Wertpapieren, was sind weitere Anlagemöglichkeiten, die man berücksichtigen sollte?

Dr. Jürgen Michels: Hierzu zählt natürlich Gold, das in letzter Zeit schon sehr gut performt hat. Da Gold aber selbst keine Rendite zahlt, verliert das Edelmetall an Attraktivität wenn die Rendite für Alternativen, wie zum Beispiel festverzinsliche US-Staatsanleihen, steigt. Hier sehe ich es schwierig, noch große Zuwächse mit Gold zu erzielen. Immobilien kann man natürlich generell auch als guten Inflationsschutz sehen, weil man sich mit einer eigenen Immobilie gegen steigende Mieten schützen kann. Bei entsprechender Risikobereitschaft sind gegebenenfalls auch Kryptowährungen eine gute Ergänzung der Anlagestrategie.

Wenn die Preise steigen ...

Wie man Inflationsrisiken im eigenen Depot abfedern kann, erklären wir in unserem Finanzwissen-Artikel.

Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich die Inflationsrate entwickeln?

Dr. Jürgen Michels: Wir gehen davon aus, dass der Anstieg der Inflation in erster Linie temporären Faktoren unterliegt. Rein statistisch läuft zu Beginn des nächsten Jahres der Effekt der Mehrwertsteuersenkung aus, wodurch die Inflation wieder fallen wird. In diesem Jahr erwarten wir in Deutschland eine durchschnittliche Inflationsrate von 2,5 Prozent. 2020 lag sie bei 0,4 Prozent. Im kommenden Jahr wird sie auf 2,2 Prozent sinken. Ähnlich wird es sich im Euroraum verhalten. In den USA werden die Werte höher sein. In diesem Jahr erwarten wir dort fast 4 Prozent, nächstes Jahr dann knapp 3 Prozent. Der pandemiebedingte Sprung der Inflation wird also vorübergehen, aber in den kommenden Jahren dürften wir höhere Inflationsraten als vor Corona haben. Die Zentralbanken werden daher allmählich ihre Unterstützungsprogramme zurückfahren, was das Umfeld für Aktien und risikoreichere Assets schwieriger beziehungsweise volatiler machen wird. Wir rechnen zwar mit steigenden Anleihezinsen, gehen aber nicht von einem dramatischen Anstieg aus.

Dr. Jürgen Michels ist Chefvolkswirt und Leiter Research der BayernLB.

Kurz gesagt
  • Die Inflation wird vom Statistischen Bundesamt durch die Preisveränderungen der Güter eines definierten Warenkorbs gemessen.

  • Niedrige Zinsen sind ein positives Umfeld für Aktien. Unternehmen können zusätzliche Umsätze und Erträge realisieren, folglich steigen die Kurse.

  • Die Inflation wirkt innerhalb der Bevölkerung unterschiedlich und trifft eher die Haushalte mit niedrigeren Einkommen.

  • Branchen wie Maschinenbau und Technologie sind gut gegen die Inflation gewappnet, da sie steigende Preise gut überwälzen können.

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